Bevor Dževad Karahasan 2016 erstmals im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Institut für Slawistik der Karl-Franzens-Universität im Literaturhaus Graz las, aus seinem gerade ins Deutsche übersetzten Roman Der Trost des Nachthimmels (Što pepeo priča), war er weder in Graz noch an der Universität ein Unbekannter. 1996 kam er als Stadtschreiber (bis 2003) in die Stadt, die ihm fortan neben Sarajevo zur zweiten Heimat wurde. Fortan war er immer wieder Gast des Literaturhauses und des Instituts für Slawistik, zuletzt am 9.2.2023 mit einer Lesung aus dem letzten Roman Einführung ins Schweben (Uvod u lebdenje), moderiert von seinem guten Freund Ilija Trojanow.
Er war mit seiner Prosa, der Essayistik und Kulturtheorie sowie im Rahmen der Literatur aus Bosnien mehrfach Gegenstand von Lehrveranstaltungen. Darüber hinaus konnte er zweimal auch als Gastprofessor gewonnen werden und hielt Seminare u.a. zum „Dramatischen and szenischen Raum im slawischen Theater“, wo er Marin Držić, Anton Čechov und Miroslav Krleža behandelte, über den er in Zagreb promoviert hatte. Seine Lehrveranstaltungen waren eine Bereicherung und erfreuten sich großer Beliebtheit, stellten sie doch nicht nur sein großes Wissen aus dem Bereich des Theaters und der Dramaturgie, sondern auch der slawischen und europäischen Literatur unter Beweis (einer seiner Lieblingsautoren war neben Anton Čechov Georg Büchner). Sein engagierter Unterricht, die Diskussionen mit Studierenden, bei denen es ihm gelang, Begeisterung für die behandelte Literatur auszulösen, ließen die AbsolventInnen seiner Lehrveranstaltungen noch lange schwärmen. Er übernahm auch die Zweitbetreuung einer Doktorarbeit am Institut. Ende 2019 schloss Adisa Bašić ihre Dissertation mit einer Arbeit zum „Komischen Ansatz an die erotische Literatur in der südslawischen Lyrik“ (Komični pristup erotskoj ljubavi u južnoslavenskoj lirici), die 2021 unter der Herausgeberschaft von Dževad Karahasan erschien (Erotosova manufaktura).
Dževad Karahasan war nicht nur ein bedeutender Schriftsteller, der dem Verbindenden in den Kulturen nachspürte, wie sein großes Vorbild Ivo Andrić ein Brückenbauer zwischen dem Balkan, dem Orient und Europa, wovon zahlreiche Romane, Erzählungen, Dramen und Essays, aber auch viele internationale Auszeichnungen zeugen. Er war ein liebenswürdiger Gesprächspartner, immer bereit, scheinbar Offensichtliches in Frage zu stellen, ein Humanist und Europäer, ein Kritiker menschlicher Dummheit und doch unverbesserlicher Optimist, ein Mensch, den wir sehr vermissen werden. Dževad Karahasan verstarb am 19.05.2013 nach schwerer Krankheit in Graz.
Graz, am 23.05.2023 Renate Hansen-Kokoruš