Im Fokus
Wir sind im Gespräch mit Studierenden und Ehemaligen, Mitarbeiter:innen und Gästen des Instituts für Slawistik.
Tatjana Petzer
seit Februar 2023 Professorin für Slawische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Graz
Woran forschen Sie gerade?
Insofern es die Lehre und andere Universitätsaufgaben erlauben, verfolge ich derzeit vor allem ein Projekt zur ökologischen Kultur. Ich untersuche, wie gesellschaftliche Utopien, Krisen und Veränderungen die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt beeinflusst und entsprechende kulturelle Praktiken hervorgebracht haben. Beispielsweise die Konzeptionen grüner Städte und Zonen sowie Architekturen, die sich mit der Natur verbinden – wie Menschen bauen, ist immer auch Ausdruck einer Geisteshaltung. Es ist die Transformationsästhetik der slawischen Moderne, die sich seit den Anfängen der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution 1917 in Stadtplanung, Architektur und Landschaftsdesign widerspiegelt. Mich interessiert, wie unter dieser Perspektive die Umgebung gestaltet wurde – sowohl in Entwürfen auf dem Papier als auch in der konkreten Umsetzung.
Sehen Sie Unterschiede zu Westeuropa?
Ja, während im Westen ökologisches Denken seit den 1970er-Jahren in Politik, Gesellschaft und Kultur an Bedeutung gewann, hat es in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion bereits eine eigene, längere Tradition. Aus meiner Sicht war manch Architekt der frühen Sowjetunion von den Konzepten des ukrainisch-russischen Biogeochemiker Wladimir Wernadski (1863-1945) beeinflusst. Wernadskis Theorie nahm seinen Ausgang in der Biosphäre, d.h. der Hervorbringung einer Sphäre der lebenden Materie aus der Geosphäre. Der Mensch, als Teil der Biosphäre, hat unseren Planeten auf wissenschaftlich-technischer Grundlage derart umgestaltet, dass sich daraus gewissermaßen eine neue Erdummantelung entwickelt hat. Wernadski nannte diese Noosphäre, in Anlehnung an das griechische Wort für Geist, Verstand. Diese Konzepte haben nicht nur die sowjetischen Naturwissenschaften geprägt, sondern auch Philosophie, Kunst und Literatur. Die geologisch-gestalterische Kraft des Menschen berge einerseits viel Potenzial, andererseits aber auch Gefahren. Daher plädierte Wernadski für ein planetarisches Bewusstsein. Heute würde man vom globalen Denken sprechen.
Wie verhält es sich mit dem ökologische Denken angesichts des Kriegs in der Ukraine?
Auch in der postkommunistischen, postindustriellen Gesellschaft ist die Vorstellung, dass sich der Mensch selbst durch neue Umgebungen in Zusammenarbeit mit der Natur umgestalten kann, für ökologisches Architektur- und Landschaftsdesign wegweisend. Wernadskis ökologische Biosphärenkonzept finden sich in aktuellen Architektur- und Planungsprojekten wieder. In der Ukraine haben sich Think Tanks gebildet, die den Wiederaufbau nach dem russischen Angriffskrieg und der damit verbundenen Umweltzerstörung ökologisch visionieren. Sie nehmen dabei Entwürfe grüner Städte und sphärischen, fliegenden Architekturen auf, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht realisiert wurden. Während sich in der frühen Sowjetunion die Entwürfe zur Nutzung von Sonnenenergie noch utopisch ausnahmen und in der Zeit des Kalten Krieges auch nicht weiterentwickelt wurden, wird heute selbstverständlich mit nachhaltigen Energietechnologien geplant. Damit treffen sich transformationsästhetische Strategien auch mit den ökologischen Zielen der EU.
Das Interview führte Gudrun Pichler.
Boban Arsenijevic
seit 2017 Professor für Slawische Sprachwissenschaft an der Universität Graz
Was war ausschlaggebend dafür, dass Sie sich für die Art der linguistischen Forschung entschieden haben, die Sie betreiben?
Ich habe Mathe und alles, was damit zu tun hat, schon immer geliebt. Und ich habe es geliebt, Dinge zu entdecken. Auch kleine Regelmäßigkeiten, Muster in beliebigen alltäglichen Dingen, Möglichkeiten, eine Arbeit zu vereinfachen, etwas in meiner Umgebung besser zu verstehen. In allen Schulfächern erlebte ich die gleiche Begeisterung, die Freude, etwas selbst herauszufinden und es dann nach einigen Wochen beigebracht zu bekommen.
Es gab jedoch ein Fach, in dem ich diese Erfahrung nie gemacht habe: der Sprachunterricht (ich hatte Serbo-Kroatisch als Muttersprache und Deutsch als Fremdsprache). Ich fand ein paar coole Regelmäßigkeiten heraus, dachte mir eine mathematische Formalisierung aus, aber die Materialien, die wir darüber lernten, waren frustrierend dumm und falsch. Ich würde zum Beispiel herausfinden, dass der Akkusativ bei Zielsätzen nicht durch die Präposition, sondern durch das Verb über der Präposition zugewiesen wird, aber man würde uns beibringen, dass die Präposition je nach Bedeutung ein Komplement in einem der beiden Fälle erfordert, und nie einen Schritt weiter gehen.
So kam ich zu dem Schluss, dass es von allen Wissenschaften, mit denen ich in Berührung kam, am meisten in der Linguistik zu entdecken gab. Es stellte sich heraus, dass die Linguistik in der Tat genauso weit entwickelt ist wie andere Disziplinen, aber nur in der Linguistik sind die Schulprogramme so rückständig.
Ich kann also sagen, dass meine Wahl der formalen Methoden durch meine Affinität zur Mathematik bestimmt wurde, während die Tatsache, dass ich in der Linguistik forsche, auf einen falschen Eindruck zurückzuführen ist, den ich aufgrund veralteter Inhalte im Sprachunterricht gewonnen habe.
Die zwei wichtigsten Dinge, die Sie denen beibringen wollen, die Sie unterrichten?
Die Wohlbefindlichkeit der Wahrheit. Wobei ich mit Wahrheit das Verfahren meine, das mit einer verzerrten Erfahrung der Realität beginnt und in Überzeugungen endet, die am genauesten mit ihr übereinstimmen. Überzeugungen über die Welt, die so frei wie möglich vom Einfluss unserer Gefühle, Wünsche und Interessen sind. Dies sind Überzeugungen über die Welt, die unabhängig von unseren Emotionen, Wünschen und persönlichen Interessen sein wollen. Dieses Konzept der Wahrheit treibt nicht nur die wissenschaftliche Forschung voran, sondern ist auch eine wesentliche Voraussetzung für ein sinnvolles Leben und eine solide Grundlage für geistiges Wohlbefinden. Im Bereich der Hochschulbildung und der Wissenschaft dient diese Erkenntnis als anhaltende und starke Motivation, um ihr Kernziel aufrechtzuerhalten: das Streben nach Wissen und Verständnis, einschließlich der Verfeinerung und Weiterentwicklung von Methoden zur Gewinnung empirischer Erkenntnisse und ihrer anschließenden Modellierung und Erklärung.
Die Erkenntnis, dass sich Investitionen in das Erlernen oder die innovative Nutzung von Technologien zur Vereinfachung und Beschleunigung von Aufgaben erheblich auszahlen. Ob mit Software-Tools, Corpora oder künstlicher Intelligenz, mit relativ bescheidenem Einsatz dieser Tools können erhebliche Effizienzsteigerungen erzielt werden. Da ich weiß, dass unsere Studenten nicht von Natur aus technisch versiert sind und oft von Ermutigung und Anleitung profitieren, bemühe ich mich, meine Kurse so zu strukturieren, dass sie das Erreichen solcher Ziele maximieren.
Die drei wichtigsten Dinge, die Sie in Ihrer (Forschungs-!) Karriere erreichen wollen?
Vollständige Entwicklung und Formalisierung eines Grammatikmodells, in dem die Struktur nicht generiert wird (wie in der generativen Grammatik), sondern sich aus der Art und Weise ergibt, wie kontinuierliche Inhalte von Klang und Bedeutung in diskrete Einheiten verpackt werden, die für symbolisch-logische Berechnungen benötigt werden. In einem solchen Modell gäbe es nur zwei enge Grammatikebenen: die logische Form und die phonologische Form, und die traditionellen Ebenen der Syntax und Morphologie würden durch Übersetzungsalgorithmen ersetzt, die zwischen den Strukturen der beiden Ebenen abbilden.
Schaffung der Grundlagen einer Sprachtheorie, die explizit die stochastischen und die logisch-symbolischen kognitiven Prozesse, die Sprache beinhaltet, und vor allem deren Schnittstellen modelliert. Ich erwarte, dass unser SFB-Projekt einen wichtigen Schritt in diese Richtung macht.
Etablierung eines Standardstatus für die Entwicklung großer Datenbanken mit linguistischen Daten (vom Typ WeSoSlaw, entwickelt an unserem Institut), die für die relevanten grammatikalischen Eigenschaften annotiert sind, sowohl als Benchmark für das Testen von Grammatiktheorien als auch als Vehikel für einen Sprung nach vorne für große Sprachmodelle, die auf der Infusion einer gewissen logisch-symbolischen Macht basieren.
Das Interview führte Marko Simonović.
Maria Katarzyna Prenner
Sprache, Kultur und alles was dazwischen liegt
Ein Umweg über Physik führte Maria Katarzyna Prenner zur Sprachwissenschaft. Die spannende Lehre einer Russisch-Lektorin hat bei ihr jenen „Heureka“ Moment ausgelöst, der ihre Faszination für das Fach weckte. Seither brennt sie nicht nur für Formale- wie Sozio-Linguistik, sondern auch für spannende, fördernde Lehre.
Maria Prenners Habilitationsprojekt befasst sich mit einem hochinteressanten Themenfeld innerhalb der Linguistik. Sie widmet sich der Entwicklung und Entstehung der Standard- bzw. Schriftsprache im Belarussischem im Spannungsfeld zwischen inner- und außersprachlichen Faktoren. Das bedeutet, Prenner möchte nicht nur wissen, wie sich die Sprache entwickelt hat, sondern auch warum – unter welchen politischen und kulturellen Bedingungen.
Sprachentwicklung und Kultur
Die belarussischen Territorien befanden sich unter unterschiedlichen Machtverhältnissen. Gebiete wie auch Sprachgemeinschaft charakterisieren sich also als Konfliktgemeinschaft, die vielen Pull und Push Faktoren ausgesetzt war. Diesen geht Prenner nun in ihrem Forschungsprojekt nach. Vereinfacht gesagt, gibt es einen größeren polnischen und russischen Einflussfaktor sowie einen kleineren ukrainischen bzw. litauischen zu berücksichtigen. Aber das Zugrundeliegende ist nicht nur der Sprachakt per se, sondern auch kulturelle und politische Interessen, die dahinter liegen – erst dadurch ergibt sich das besondere Spannungsfeld, in dem die belarussische Standardsprache sich entwickelte. Prenners Arbeit wird also nicht nur rein sprach-, sondern auch kulturwissenschaftliche Aspekte verfolgen. Dazu gehört eine holistische Untersuchung des Sprachkorpus – vorwiegend geschriebener Texte wie Zeitungen, die auch literarische Texte publizierten, an welchen auch kulturelle Aspekte abgelesen werden können.
Die aktuellen Schwerpunkte in Maria Prenners Forschung liegen auf den Bereichen Morphosyntax-Semantik Schnittstelle, Verbsemantik, Agentivität, Sprachkontakt, Schriftlinguistik und Soziolinguistik. Ihre sprachlichen Schwerpunkte liegen, wie man annehmen kann, auf Belarussisch, aber auch auf Russisch, Ukrainisch, Tschechisch sowie Polnisch, einer der beiden Muttersprachen der bilingual aufgewachsenen Linguistin.
Karrierewege
Ursprünglich war es Prenners Wunsch Physik zu studieren, ein Fach, das sie noch heute fasziniert, doch mit einem kurzen Zwischenstopp bei den Translationswissenschaften, fand sie schließlich zu ihrer großen Leidenschaft der Linguistik, deren Gesetze ihr manchmal so klar erscheinen, wie die naturwissenschaftlichen, denen ihr erstes Interesse galt. So absolvierte Maria Prenner – als erste in ihrer Familie – zunächst die Bachelorstudien Russistik und Polnistik und das Masterstudium Allgemeine Slawistik in Wien, bis sie ihr Weg nach Köln führte, wo Sie schließlich über „Agentivity in Human Impersonal Constructions in Polish and Russian.“ dissertierte. In Köln fand Prenner auch Anschluss zum deutschlandweiten Netzwerk „Verein Erste Generation Promotion“, in dem sie viel Unterstützung für ihre weitere Karriere an der Universität fand. Bis heute engagiert sich Prenner für Studierende nicht nur mit spannender, forschungsgeleiteter Lehre – wie in der Vorlesung „VU Aktuelle Forschungsansätze der slawistischen Sprachwissenschaft“, sondern ist auch Ansprechpartnerin für Studierende, deren akademischer Weg nicht klar vorgezeichnet ist. Die für die Sprachwissenschaften brennende Forscherin rät Studierenden, die aufgrund ihres familiären oder sozialen Hintergrunds unsicher sind, ob sie es an der Uni schaffen können, niemals aufzugeben. Sich zu vernetzen. Über den eigenen Schatten zu springen und Chancen zu nutzen.
Maria Katarzyna Prenner hat in Wien die Bachelorstudien Russistik und Polnistik sowie das Masterstudium Allgemeine Slawistik (mit den Schwerpunkten: Russisch, Polnisch, Belarussisch und Ukrainisch) absolviert, bevor sie in Köln promovierte. Nach Anstellungen an der Universität zu Köln und der Universität Gießen hat sie ihr Weg im Oktober 2023 an die Uni Graz geführt, wo sie als Universitätsassistentin (PostDoc) am Institut für Slawistik bei Boban Arsenijević tätig ist.